Von Herzensangelegenheiten und Geschäftsmodellen
Manchmal kommt mir vor, als ob es auf Social Media mehr Coaches gibt als Kunden. Oder anders gesagt: Die Zahl derjenigen, die «dich auf dem Weg zur Selbständigkeit» begleiten wollen, scheint die Zahl der selbständigen Unternehmer:innen allmählich zu übertreffen.
Mit Unternehmer:innen meine ich Menschen, die ein Geschäftsmodell haben, das auf Gewinn abzielt. Eines, das den Gründern ein Gehalt ermöglicht oder in Aussicht stellt. (Und hier lasse ich das disruptive Start-up bewusst aussen vor).
Aber davon ist selten die Rede in den unzähligen Angeboten. An erster Stelle stehen vielmehr Sinnsuche, tiefste verborgene Träume oder die Auflösung von hinderlichen Blockaden vor dem beruflichen Neustart. Nicht zu vergessen: die unerfüllten Sehnsüchte, mit denen das Coaching angepriesen wird. Denn nicht selten tauchen da immer die gleichen Fragen auf:
- «Hast du auch häufig das Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein kann im Leben?»
- «Fühlst du dich manchmal auch so leer?»
Selbständigkeit als Lösung für Sinnsuche? Kann man daraus folgern, dass Sinnsuche das stärkste «Kaufargument» für die unzähligen Selbständigkeits-Online-Coachings ist, die am Markt sind? Ich wage zu behaupten: Ja, es ist ein starkes Kaufargument – vor allem für viele Frauen in der Schweiz. In einem Wohlstandssystem, das steuerlich und arbeitsrechtlich nicht gerade darauf abzielt, dass in Familien beide Teile arbeiten müssen. Und da bietet sich Selbständigkeit für Sinnsuchende förmlich an. Denn wir sind auf der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz weit oben angekommen. Trotz Corona und der schwierigen Zeit, die hinter uns liegt.
Bei diesen verlockenden Angeboten frage ich mich oft: Wann und wie kommt die Frage nach dem Geschäftsmodell? Die Frage nach Kosten und Nutzen? Die Frage nach der Vertriebs-Strategie und realistischen Einschätzung des Gewinnes – wie viel und ab wann? Dem Durchhaltewillen bis dahin? Die Frage nach dem Kostencontrolling und den «langweiligen» rechtlichen und steuerlichen Fragen? Bis es soweit ist, ist wohl schon ein beträchtliches Budget in die «soft facts» geflossen…
Aber warum auch all diese trockenen Fragen stellen – es geht doch um eine «tiefe Herzensangelegenheit». Damit man mich nicht falsch versteht: Mein Business ist auch eine Herzensangelegenheit, ja sogar ein Traum, den ich seit Kindheit hatte. Und ich ermutige jede/n, der oder die das wirklich möchte, zur Selbständigkeit. Es war die beste (und gleichzeitig schwerste) Entscheidung meines Lebens. Und ich bin jeden Tag dankbar dafür. (Sogar an den ganz mühsamen, an denen ich mich mit Rechtsangelegenheiten und Verträgen «herumschlage»).
Aber der Traum wird schnell zum Albtraum, wenn die zahlenden Kunden fehlen. Denn jedes Unternehmen verursacht Kosten. Und ja: Ich glaube definitiv, dass es für vieles Kunden gibt. Aber ich glaube nicht, dass diese «schon zu einem finden werden, wenn man einfach tut, was man schon immer wollte und das aus vollem Herzen». Das ist sicher eine wichtige Basis. Aber dann braucht es persönlichen Verkaufseinsatz, Beharrlichkeit, Durchhaltewillen, Zeit und Budget –gepaart mit – gähn – Controlling und Steuern… Vieles, das nicht mehr so viel mit Herz und Sehnsucht zu tun hat.
Also wären doch die richtigen Fragen: Für welches Herzensprojekt bist du bereit, mit deiner ganzen Kraft zu kämpfen, damit du davon eine unabhängige, selbständige Existenz aufbauen kannst? Und was wird es dafür noch brauchen? Oder alternativ: Willst du ein neues Hobby finden? Ich helfe dir dabei! Aber diese Fragen würden sich wohl nicht so gut verkaufen…..